11.12.25
David Thöny, Entwicklungsleiter Chemie bei Wetrok, erklärt, was wirklich in unseren Reinigungsmitteln steckt. Er klärt auf, warum Schaum kein Qualitätsmerkmal ist, warum „Chemie“ nicht das Gegenteil von Natur bedeutet und warnt vor Überdosierung. Ausserdem blickt er in die Zukunft und verrät, ob Künstliche Intelligenz bald die Entwicklung im Labor übernimmt. Im Interview gibt der Experte einfache Antworten und zeigt, wie sich unsere Reinigungsmittel durch neue, umweltfreundliche Rohstoffe verändern.
David Thöny ist ein ausgewiesener Fachmann, der auf über zehn Jahre Erfahrung als Entwicklungsleiter für Reinigungschemie und technische Produkte zurückblickt und seit zwei Jahren die Entwicklungsabteilung Chemie bei Wetrok leitet. Trotz seines zufälligen Einstiegs in die Reinigungsbranche, nachdem er zuvor mit Metallbeschichtungen gearbeitet hatte, verfügt er heute über tiefgreifendes Wissen zu Inhaltsstoffen, Formulierungen sowie der Einstufung und Kennzeichnung von Reinigern. Die Faszination für sein Fachgebiet liegt im direkten praktischen Nutzen der Produkte und der Begleitung des gesamten Entwicklungsprozesses. Als Vorstandsmitglied der SEPAWA Schweiz ist er hervorragend fachlich vernetzt, um die dynamischen Marktentwicklungen und das regulatorische Umfeld aufmerksam zu verfolgen.
Herr Thöny, Sie sind seit über zehn Jahren als Entwicklungsleiter für Reinigungschemie und technische Produkte tätig. Seit zwei Jahren leiten Sie die Entwicklungsabteilung Chemie bei Wetrok. Was hat Sie ursprünglich in dieses Fachgebiet geführt, und was fasziniert Sie bis heute daran?
Ich bin eher zufällig in die Reinigungsbranche gekommen. Nach meiner Ausbildung als Chemielaborant und dem Studium an der Zürcher Fachhochschule sammelte ich erste Berufserfahrung in der Entwicklung von Metallbeschichtungen. Da ging es um Konservendosen und Deo-Sprays. Zu dieser Zeit wusste ich noch nichts von der Welt der Reinigungschemie, da diese weder im Studium noch in meiner damaligen Berufsumgebung sichtbar war. Als ich vor gut zehn Jahren eine Stelle bei einem Lohnhersteller antrat, ahnte ich nicht, welches Fachgebiet sich mir damit auftun würde.
Das faszinierende an der Entwicklung von Reinigungsmitteln liegt für mich in vielen Aspekten: Einerseits ist es eine Tätigkeit mit direktem praktischem Nutzen, was in der Chemie nicht immer der Fall ist. Die von uns entwickelten Produkte werden täglich von unzähligen Menschen angewendet und hoffentlich geschätzt. Wir können sie auch selbst zu Hause einsetzen. Als Entwickler hat man direkten Einfluss auf die Zusammensetzung und Eigenschaften der Reiniger. Wir begleiten den gesamten Prozess von der Rohstoffauswahl über Anwendungs- und Stabilitätstests, Produktionsbegleitung bis hin zur Bearbeitung von Marktanfragen nach der Lancierung. Die Reinigungschemie hat zudem ein breites Anwendungsfeld mit vielen Spezialitäten, welche immer wieder für Abwechslung sorgen. Apropos Abwechslung: Auch das dynamische regulatorische Umfeld und Veränderungen am Markt oder bei unseren Lieferanten sorgen dafür, dass die Arbeit immer spannend und herausfordernd bleibt.
Welche Rolle spielt Ihre Tätigkeit bei SEPAWA Schweiz für Ihre Arbeit?
Die Vereinigung der Seifen-, Parfüm- und Waschmittelfachleute SEPAWA ermöglichte mir einen guten Einstieg in die Branche. Sie bietet mir bis heute die Möglichkeit zum fachlichen Austausch und ein Netzwerk von lokalen und internationalen Spezialisten. Die angebotenen Fachtagungen sowie der jährliche Kongress sorgen dafür, dass ich auf dem neuesten Stand bleibe und persönliche Beziehungen pflegen kann. Mit meinem Engagement im Vorstand der Sektion Schweiz möchte ich diese Unterstützung auch anderen ermöglichen.
Wenn wir über Reinigungsmittel sprechen, denken viele an das fertige Produkt, selten an die darin enthaltenen Rohstoffe. Welches sind die wichtigsten Rohstoffe in einem Reiniger? Woher stammen diese typischerweise?
Diese Perspektive ist auch verständlich: Die Reinigungsmittel sehen alle sehr ähnlich aus. Neben Farbe und Duft unterscheiden sie sich von aussen nicht wesentlich. Aber dahinter verbirgt sich viel mehr.
Die wichtigsten Rohstoffkategorien sind:
Nicht zu vergessen ist das Wasser, welches als essenzielles Lösungsmittel in fast allen Produkten enthalten ist.
Die Frage nach der Herkunft ist schwierig pauschal zu beantworten. Die Lieferketten sind global und komplex. Ausgangsstoffe kommen oft aus Asien, die Verarbeitung erfolgt zu einem grossen Teil in Europa.
Gibt es Unterschiede zwischen natürlichen, synthetischen und biobasierten Rohstoffen? Welche Auswirkungen haben diese Unterschiede auf die Produkteigenschaften und die Umweltbilanz?
Diese Thematik bezieht sich vor allem auf Tenside und Lösungsmittel. Synthetische Rohstoffe basieren auf Erdöl-Fraktionen und bilden die historische Grundlage unserer Branche seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Bei biobasierten Rohstoffen wird dieser petrochemische Anteil durch nachwachsende Komponenten ersetzt, meist Palm- oder Kokosöl. Dabei bleiben die chemischen Eigenschaften in etwa gleich, die Umweltbilanz verbessert sich prinzipiell. Als natürliche Rohstoffe würde ich solche bezeichnen, welche durch naturnahe Prozesse (z.B. Fermentation) aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden. Hier haben wir es in der Regel mit neuen Stoffen zu tun, welche sich in ihren Eigenschaften deutlich von den anderen beiden Klassen unterscheiden können (z.B. Bio-Tenside).
Bei der Frage zur Umweltbilanz gibt es leider keine einfache Antwort. Je nach betrachtetem Kriterium kann das stark abweichen. Die CO2-Bilanz hängt vom gewählten Bilanzgebiet und der Verlässlichkeit der Daten ab, die biologische Abbaubarkeit hat nur bedingt etwas mit dem Ursprung zu tun und weitere Faktoren wie land-use müssen auch berücksichtigt werden. Neuste Daten zeigen aber schon, dass Bio-Tenside der 2. Generation in der Life-Cycle-Analyse deutlich besser abschneiden als die anderen Kategorien. Die Entwicklung hin zu neuen Technologien zahlt sich ökologisch aus.
Wie beeinflussen Rohstoffqualität und Herkunft die Wirksamkeit und Sicherheit von Reinigungsmitteln für den Anwender?
Die Rohstoffqualität ist ein wichtiger Aspekt. Eventuelle Qualitätsschwankungen, Verunreinigungen oder unerwünschte Inhaltsstoffe können zu einem Risiko werden. Es ist aber zum Glück so, dass die Branche gut reguliert ist und wir mit zuverlässigen Partnern arbeiten können. Die Standards für Lieferanten und Hersteller sind hoch und werden laufend angepasst. Da es sich um gut spezifizierbare Produkte handelt, ist die geografische Herkunft in Bezug auf Wirksamkeit und Sicherheit zweitrangig.

David Thöny
Ausbildung: Chemielaborant; Studium an der Zürcher Fachhochschule
Erfahrung: Über zehn Jahre in der Entwicklung von Reinigungschemie und technischen Produkten, zuvor Entwicklung von Metallbeschichtungen
Derzeit: Leiter Entwicklungsabteilung Chemie bei Wetrok
Engagement und Netzwerk: Vorstandsmitglied SEPAWA Schweiz, fachlicher Austausch und Vernetzung in der Branche
Expertennetzwerk: hygieneforum.ch/hygiene-experten/
Chemie wird im Alltag oft als „gefährlich“ oder „unnatürlich“ wahrgenommen. Wie würden Sie diese Sichtweise einordnen?
Sie ist etwas undifferenziert und wird der Chemie nicht gerecht. Chemie ist die Wissenschaft der Stoffe, ihrer Eigenschaften und die Umwandlung derer ineinander. Alles, was uns stofflich umgibt, ist letztlich Chemie. Auch die Natur basiert auf chemischen Elementen und Prozessen. Chemie ist nicht unnatürlich – potenziell gefährlich hingegen schon. Es gibt das Zitat von Paracelsus «Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist». Das Ziel ist es auch in der Reinigung, Nutzen und Risiken sinnvoll aufeinander abzustimmen. Die Gewährleistung der Sicherheit im Umgang mit Reinigungschemie ist zentral, Gefahrensymbole und Hinweise auf den Etiketten helfen uns dabei.
Welche chemischen Prinzipien spielen für die Reinigungswirkung eine Rolle? Gibt es einfache Faustregeln?
Es gibt ein paar Grundregeln, welche bei der Anwendung helfen können:
Worauf kann ein Anwender achten, um die Vorteile der Chemie optimal zu nutzen?
Entscheidend ist sicher die richtige Wahl der Produkte. Die vom Hersteller angegebenen Anwendungen definieren das Einsatzgebiet. Ein Reinigungsmittel ist nur im dafür vorgesehenen Bereich optimal wirksam. Dann ist die Dosierung relevant: Viel hilft nicht immer viel. Überdosierungen sind ein häufiges Problem in der Praxis. Sie können zu einem schlechteren Reinigungsergebnis oder Materialschäden führen und verursachen höhere Kosten. Auch mit der Methodenwahl kann viel herausgeholt werden.
Gibt es Trends oder Innovationen in der Formulierung von Reinigungsmitteln, die Sie besonders spannend finden?
Durch den schnell zunehmenden Fokus auf nachhaltige Rohstoffe herrscht seit einiger Zeit viel Dynamik in Rohstoffmarkt. Es gibt echte Innovationen mit neuen Rohstoffquellen. Was bisher höchstens in der Grundlagenforschung ein Thema war, kann heute schnell industriell verfügbar sein. Es gibt neue Akteure mit spannenden Lösungsansätzen. Ein Teil dieser Entwicklung zu sein, macht mir auch persönlich Freude.
Wie sehen Sie die Zukunft der Reinigungschemie? Werden Nachhaltigkeit und „grüne Chemie“ die Branche grundlegend verändern?
Ich betrachte das auf zwei Ebenen: Einerseits gehe ich nicht davon aus, dass sich die Reinigungschemie in ihren Eigenschaften und Anwendungen grundsätzlich verändern wird. Andererseits wird sich die Zusammensetzung aufgrund der oben beschriebenen Entwicklungen stark verändern. Die in den letzten Jahrzehnten gut etablierten Produkten werden an Bedeutung verlieren. Als Entwickler ist es aber unser Ziel, die Anwendung und Eigenschaften möglichst im gewohnten Rahmen zu halten.
Wird die Nutzung von KI die Entwicklung von Reinigungsmitteln beeinflussen?
Auf jeden Fall. Der einfache Zugriff auf grosse und komplexe Datenmengen hilft bei der Recherche und vereinfacht den Weg zu Problemlösungen. KI ist ein guter Ideengeber und wird Prozesse beschleunigen. Ich rechne aber nicht damit, dass KI meine Arbeit in absehbarer Zeit fundamental verändern wird. Dafür sind die generierten Informationen noch zu fehlerbehaftet. Die vielseitigen, sehr spezifischen Anforderungen an unsere Produkte und die hohe Wahrscheinlichkeit einer Interaktion der Inhaltsstoffe machen eine kritische, theoretische und praktische Verifizierung im Labor weiterhin nötig.
Was würden Sie sich wünschen, dass Anwender oder auch die Öffentlichkeit besser über Reinigungschemie verstehen?
Fachleute und Private mit Erfahrung verstehen in der Regel schon sehr viel. Sie kennen vielleicht nicht die Inhaltsstoffe und ihre Funktionen, wissen aber welches Produkt wo funktioniert. Und das ist das Wichtigste.
Als Entwickler wünsche ich mir natürlich, dass die Vielfalt, Leistungsfähigkeit und Komplexität der Reinigungschemie gesehen werden. Ein modernes «Putzmittel» ist viel mehr, als was man von aussen vermuten würde.