12.06.25

Stoffbeigaben in Lüftungen im Gesundheitswesen

In Lüftungsanlagen von Gesundheitseinrichtungen steht die Sicherstellung hygienisch einwandfreier Luftqualität an oberster Stelle. Immer wieder wird jedoch versucht, chemische oder biologische Stoffe gezielt in die Luftführung einzubringen, sei es zur Desinfektion, Geruchsüberdeckung oder zur mikrobiellen Steuerung. Solche Anwendungen sind jedoch aus hygienischer Sicht kritisch zu bewerten: Sie bergen Risiken für Patienten und Personal, stehen häufig im Widerspruch zu geltenden Normen und entziehen sich oft einer klaren Wirksamkeitsprüfung.

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Luftqualität in der Schweiz und ihre Bedeutung für das Gesundheitswesen

Die Luftqualität in der Schweiz hat sich in den letzten Jahrzehnten dank vieler Massnahmen zur Luftreinhaltung deutlich verbessert. Die Immissionsgrenzwerte für Feinstaub, Stickstoffdioxid und Ozon insbesondere in verkehrsreichen Gebieten und während Smog-Perioden werden aber weiterhin regelmässig überschritten.

Gesundheitliche Auswirkungen

Verschiedene Schadstoffe in der Aussenluft gelangen mit jedem Atemzug in die Lunge. Feinstaub und Ozon gehören dabei zu den besonders relevanten Stoffen. Schon bei kurzer Exposition können Atembeschwerden, Reizungen und andere Symptome auftreten. Bei wiederholter oder chronischer Belastung steigt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronische Bronchitis oder Asthma. In der Literatur ist zudem ein Zusammenhang mit einer erhöhten Sterblichkeit belegt. Betroffen sind vor allem Kinder, ältere Menschen und Personen mit bestehenden Erkrankungen.

Gemäss der Modellrechnung des Swiss Tropical and Public Health Institute aus dem Jahr 2023 lassen sich in der Schweiz jährlich rund 2’300 vorzeitige Todesfälle auf die Schadstoffbelastung der Luft zurückführen.

Auswirkungen auf das Gesundheitswesen

Die gesundheitlichen Folgen der Luftverschmutzung führen zu einer Belastung des Schweizer Gesundheitswesens. Jährlich werden fast 14’000 Spitaltage aufgrund von luftschadstoffbedingten Erkrankungen verzeichnet. Zudem entstehen rund 12’000 Fälle von akuter Bronchitis bei Kindern und etwa 2’300 neue Fälle von chronischer Bronchitis bei Erwachsenen.

Zielsetzungen im Gesundheitswesen zur Sicherung der Luftqualität

Gesundheitseinrichtungen tragen eine Verantwortung für die Qualität der Innenraumluft. Anders als in Wohn- oder Bürogebäuden halten sich hier besonders anfällige Personen auf, darunter immungeschwächte Patienten, Neugeborene, ältere Menschen oder Personen mit chronischen Atemwegserkrankungen. Entsprechend hoch sind die hygienischen Anforderungen an raumlufttechnische Anlagen und die Luftqualität.

Die übergeordneten Ziele lauten:

  • Vermeidung nosokomialer Infektionen durch luftgetragene Erreger, z. B. Aspergillus spp.
  • Reduktion chemisch-physikalischer Belastungen durch z. B. VOCs (flüchtige organische Verbindungen).
  • Sicherstellung eines stabilen mikrobiellen Raumklimas durch kontrollierte Belüftung, insbesondere in OP-Sälen, Intensivstationen, Isolierzimmern und Labors.
  • Beitrag zum allgemeinen Wohlbefinden und zur Genesung durch angenehmes Raumklima und saubere, geruchsneutrale Luft.

Diese Zielsetzungen orientieren sich an etablierten Normen und Empfehlungen wie der SWKI-Richtlinie VA105-01, VA104-01 und VA101-01, der SIA 382/1, den VDI-Richtlinien 6022 und 2047 sowie den Empfehlungen von KRINKO und der DGKH in Deutschland.

Zugabe von Stoffen in die Raumluft: Zwischen Wunsch und Verantwortung

In den letzten Jahren mehren sich Angebote und Produkte, die eine gezielte Abgabe von chemischen, biologischen oder „natürlichen“ Substanzen in Raumluftsysteme versprechen. Diese reichen von Beduftungssystemen über bioaktive Luftreiniger bis hin zu Geräten zur automatisierten Luftdesinfektion mit Wasserstoffperoxid, Ozon oder ätherischen Ölen. Anbieter versprechen eine Verbesserung der Luftqualität, eine Reduktion von Keimen oder eine Steigerung des Wohlbefindens. Diese Entwicklung ist nicht auf den Luftbereich beschränkt: Ähnliche Trends zeigen sich auch im Bereich der Wasserhygiene, etwa durch den Einsatz von Silberionen, Chlor/Chlorverbindungen oder vermeintlich probiotischen Systemen. Es entsteht der Eindruck, als liesse sich Hygiene zunehmend „dosieren“.

Diese Tendenz steht jedoch im Spannungsfeld zwischen technischer Machbarkeit, vermarkteter Innovation und Hygiene-Verantwortung. Insbesondere im Gesundheitswesen, wo vulnerable Personengruppen betreut werden, müssen solche Systeme wissenschaftlich valide, toxikologisch bewertet und normativ eingeordnet sein. Der folgende Abschnitt beleuchtet, inwiefern dies derzeit der Fall ist.

1. Normative und gesetzliche Grundlagen

Die Anmeldestelle Chemikalien des Bundes hat festgelegt, dass Systeme zur kontinuierlichen Raumluftdesinfektion durch Vernebelung oder Begasung von Desinfektionsmitteln, etwa Aktivchlor, Wasserstoffperoxid oder Ozon, während der Anwesenheit von Personen nicht zugelassen sind. Der Einsatz biologischer Wirkstoffe ist nicht grundsätzlich verboten, unterliegt jedoch einer sorgfältigen wissenschaftlichen und toxikologischen Bewertung.

Unabhängig von der Art des eingesetzten Stoffes fordern die Normen SWKI VA105-01 und SIA 382/1, dass Lüftungsanlagen so betrieben werden, dass keine gesundheitlichen Gefährdungen für Personen entstehen. Die aktive Zufuhr von Stoffen steht daher im Widerspruch zu den grundlegenden Anforderungen an den sicheren Betrieb raumlufttechnischer Anlagen.

Auch international gibt es vergleichbare Zurückhaltung. Die WHO, das BAG und Fachgremien aus Österreich und Deutschland betonen die Vorsicht im Umgang mit Luftzusätzen in sensiblen Räumen wie Spitälern.

Zudem existiert keine valide belastbare Studienlage, welche die regelmässige oder dauerhafte Zugabe solcher Substanzen wissenschaftlich rechtfertigen würde. Einzelne Hersteller oder Anbieter verweisen auf Wirksamkeitstests in Laborsituationen oder leeren Räumen, doch fehlen systematische Studien, die den sicheren Betrieb solcher Systeme unter Realbedingungen in Gesundheitsbereichen belegen. Weder die toxikologische Unbedenklichkeit noch die mikrobiologische Zielwirkung sind derzeit umfassend dokumentiert oder normativ abgesichert.

2. Forschungsstand und Studienlage

Studien zur Wirksamkeit einzelner luftgetragener Substanzen wie Wasserstoffperoxid oder Ozon existieren, jedoch fast ausschliesslich in Bezug auf leere Räume, etwa für die terminale Desinfektion. Für belegte und somit belebte Bereiche oder einen Dauerbetrieb fehlen belastbare Daten. Besonders Beduftungssysteme oder die Anwendung «probiotischer Luftreinigung» sind nicht evidenzbasiert und können in Fachkreisen nicht als gesichert wirksam oder unbedenklich angesehen werden. Hinzu kommt, dass es keine harmonisierten Prüfverfahren gibt, mit denen sich die tatsächliche mikrobiologische oder chemische Wirkung solcher Zusätze verlässlich validieren liesse.

3. Langzeitwirkungen und offene Fragen

Bis heute fehlen Langzeitstudien zur Wirkung chemischer oder biologischer Luftbeigaben in belegten Bereichen des Gesundheitswesens. Insbesondere fehlen toxikologische Untersuchungen zu:

  • chronischer Exposition bei Patienten mit Lungen- oder Hauterkrankungen
  • chemischer Reaktivität von Zusätzen in Verbindung mit Raumluftinhaltsstoffen, zum Beispiel Bildung sekundärer VOCs
  • Veränderungen in der mikrobiologischen Raumluftqualität in besonders empfindlichen Bereichen wie OP, Isolierzimmer oder Neonatologie
  • potenziellen Rückständen in Luftkanälen, Filtern, Geräten oder Mobiliar

Zusätzlich zeigen internationale Studien, dass insbesondere Duftstoffe und Desinfektionsnebenprodukte eine relevante Quelle für Kopfschmerzen, Schleimhautreizungen und allergische Reaktionen sein können, insbesondere bei langandauernder oder unkontrollierter Anwendung.

4. Fazit: Keine Stoffe in die Raumluft ohne klare Evidenz

Die Zugabe chemischer oder biologischer Substanzen in die Raumluft stellt eine unkontrollierbare Intervention mit potenziell weitreichenden Folgen dar. Solange keine unabhängigen, belastbaren Langzeitstudien zu Wirkung, Sicherheit und Unbedenklichkeit solcher Massnahmen vorliegen, insbesondere für Risikogruppen, ist von einer Beigabe abzusehen.

Ein verantwortungsvoller Umgang mit Luftqualität im Gesundheitswesen bedeutet nicht, zusätzliche Stoffe einzubringen, sondern bestehende Systeme hygienisch und normkonform zu betreiben.

Die Verbesserung der Luftqualität erfolgt nicht durch Interventionen am Menschen, sondern durch kontrollierte, dokumentierte und technisch beherrschte Anlagenführung.

Die Gesundheit von Patientinnen und Patienten sowie von Personal muss stets Vorrang vor technischen oder atmosphärischen Effekten haben.

Quellen:

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